Dipl.-Ing. Tomasz Bachlinski - Freischaffender Architekt, Energieberater Wohn- und Nichtwohngebäude, Fachplaner Hocheffizienzgebäude
Die Stadt Berlin wird im 13. Jahrhundert gegründet und besteht zunächst als Doppelstadt Berlin / Cölln mit zwei Siedlungskernen beiderseits der Spree. Im Laufe der Jahrhunderte bilden sich im Umland der Doppelstadt eine Vielzahl an Dörfern und Städten, die mit der Zeit zu einem dichten Netzwerk durch Landstraßen verbunden werden.
Es entsteht eine gewachsene und sich stets verdichtende Siedlungsstruktur, die in letzten Jahrhunderten der Stadtentwicklung durch Eingemeindungen und Zusammenschlüsse der Städte Berlin entstehen lässt.
Die Stadtstruktur wird mehrfach durch unterschiedliche Planfiguren im großen und im kleinen Umfang überlagert und umgeformt. Zu den bedeutendsten Entwicklungen gehören:
Fabrikgeschossbauten ermöglichen die Stapelung von Nutzflächen für Gewerbebetriebe auf mehreren Geschossebenen.
Die Entstehung von Fabrikgeschossbauten in Stadträumen des 19. Jahrhunderts hat als Ursache die Verknappung von Bauland bei erhöhtem Flächenbedarf für produzierende Gewerbebetriebe. Die höheren Baukosten für Fabrikgeschossbauten werden dem verteurten Baugrund gegenüber gestellt.
Viele klein- und mittelständische Betriebe profitieren von den innerstädtischen Standortfaktoren, wie der Nähe zur Kundschaft und zu kooperierenden Betrieben des gleichen Gewerbezweigs. Monofunktionale Großbetriebe orientieren sich bei der Standortwahl hingegen stärker nach infrastrukturellen Vorteilen, wie guter Anbindung an das Schienennetz, die Autobahn oder Wasserwegen.
Ein frühes Beispiel für Gewerbegeschoßbauten sind Lagergebäude an Wasserwegen in zentralen Stadtlagen. In der Frühphase der Industrialisierung ist der Standort am Wasserlauf für viele Gewerbebetriebe von entscheidender Bedeutung. Daher sind die Flächenreserven an Flussläufen innerhalb einer Stadt besonders gering. In hohen Lagergebäuden kann die Einsparung an Baugrundfläche durch die Einlagerung von Waren mit Einsatz von Seilzügen kostengünstig erfolgen. Die vertikale Förderung erweist sich hier gegenüber der horizontalen Förderung als effizienter und wirtschaftlicher.
Den Antrieb für Maschinen aus der frühindustriellen Zeit wurde mit dem Mühlrad oder der Dampfmaschine erzeugt. Die hohen Investitionskosten für solch eine Ausrüstung konnten jedoch zunächst nur Großbetriebe aufbringen. Die industriellen Produktionsabläufe wurden vollständig auf diese eine zentrale Energiequelle ausgerichtet. Die Kraftübertragung erfolgte in der Regel über eine mittig angeordnete Achse als Energieträger, von der aus die Maschinen über Transmissionsräder und- riemen angetrieben werden konnten.
Die Elektrifizierung und Entwicklung von leistungsstarken Elektromotoren, die frei aufgestellt werden konnten und über unterschiedliche Leistungen verfügten, leitete auch innerhalb der klein- und mittelständischen Betriebe eine moderne Fertigungstechnik ein. Handwerkbetriebe und Manufakturen entwickelten sich zu industriellen Kleinunternehmen. Durch Spezialisierung und Zusammenarbeit entwickelten sie Gewerbeketten, die als Zulieferer für die Großindustrie fungierten, oder selbst hochwertige Endprodukte herstellten.
In der Regel sind die klein- und mittelständischen Betriebe Mieter ihrer Betriebsräume. Fabrikgeschoßbauten gehören genauso wie die sogenannten Mietskasernen frühzeitig zu Investitionsobjekten von Groß- und Kleinanlegern.
Ein Gewerbegeschossbau zeichnet sich durch eine hohe Flexibilität aus. Die Räume werden durch wechselnde Nutzer belegt, die ihren Betrieb entsprechend anderem Produktionsablauf und Ausstattung mit Maschinen einrichten.Zu den Haupteigenschaften gehören:
Die intensive Ansiedlung von Gewerbebetrieben in Berlin-Kreuzberg geht nach Beendigung des 1. Weltkrieges deutlich zurück. Die einseitige Ausrichtung der Mehrheit von Kreuzberger Produktionsbetrieben als Zulieferer für die Rüstungsindustrie während des Krieges führt zum Zerfall von traditionellen klein- und mittelständischen Wirtschaftszweigen. In den Jahren um 1930 wird ein Teil der leerstehenden Gewerbebauten zu Wohnzwecken umgebaut.
Einen weiteren noch tiefergehenden Niedergang erfährt das Milieu der „Kreuzberger Mischung“ nach dem 2. Weltkrieg. Der Stadtteil kann vom einsetzenden wirtschaftlichen Aufschwung in den 50 er Jahren nicht profitieren. Nach der Teilung Berlins befindet sich, das zuvor zentral gelegene Kreuzberg am östlichen Rand West-Berlins. Die nahräumlichen wirtschaftlich-strukturellen Zusammenhänge mit den östlichen Bezirken gehen aufgrund der Teilung verloren. Viele angestammten Bewohner, darunter ein hoher Anteil der qualifizierten Arbeiterschaft zieht in andere Stadtteile ab, um nahe zum neuen Arbeitsplatz zu wohnen. Ein Großteil der Bewohner bevorzugt es in die neuerrichteten Wohnsiedlungen mit höherem Wohnkomfort umzuziehen.
Die Kriegszerstörungen in Kreuzberg nehmen im Vergleich zu anderen Stadtteilen geringere Ausmaße an. Der Stadtbezirk sollte erst im Zuge des geplanten Stadtumbauprozesses nach modernen Maßstäben einen erheblichen Teil der historischen Bausubstanz einbüßen.
Innerhalb des modernen Stadtumbauprozesses setzt eine räumliche Trennung von städtischen Funktionen wie Wohnen, Arbeiten und Freizeit ein. Der moderne Stadtumbau setzt zunächst in den durch Kriegszerstörungen am stärksten betroffenen Stadtgebieten an. Der Stadtumbauprozess erfasst Kreuzberg erst zum späteren Zeitpunkt. Die Gründe hierfür sind der weitgehende Erhalt des Stadtgefüges nach dem 2. Weltkrieg und zugleich die Vernachlässigung eines sich am Stadtrand befindenden Bezirks durch die Berliner Senatsverwaltung. Der in den 1960`er Jahren einsetzende flächenmäßige Abriss der Altbausubstanz in Kreuzberg dauert bis in die 1980`er Jahre an und kann erst durch den Einsatz zahlreicher Bürgerinitiativen gestoppt werden. Die Kreuzberger setzen eine Stadterneuerung durch, die neben Neubaumaßnahmen ebenso die Sanierung der Altbausubstanz berücksichtigt.
Der Wiederaufbau Berlins wird durch den staatlich finanzierten Sozialwohnungsbau bestimmt. Die Vorfabrikation von Bauelementen und die Vereinheitlichung von Grundrissen führt zum hohen Standardisierungsgrad. Die Standardwohnung richtet sich nach Bedürfnissen für eine Kleinfamilie und besteht aus dem Wohnzimmer, Schlafzimmer, Kinderzimmer, Küche, Bad, Eingangsflur und Balkon. Die neuen Geschosswohnungsbauten verändern durch die offene Bauweise zu einem die Stadtstruktur, zum anderen auch die Wohnkultur im Allgemeinen. Seit Mitte der 50er Jahre entstehen in West-Berlin innerhalb von 20 Jahren 450.000 Wohneinheiten. Das entspricht in etwa der Hälfte der bis zur Wiedervereinigung insgesamt errichteten Bausubstanz.
In Kreuzberg sind die Fabrikgeschossbauten sowie Mietshäuser aus der Gründerzeit bis in die 1970`er Jahre hinein von einem hohen Leerstand betroffen und durch die geplanten Stadtumbaumaßnahen vom Abriss bedroht. Viele Besitzer der Gebäude orientieren sich frühzeitig an der Planung zu den Stadtumbaumaßnahmen des Berliner Senats und verkaufen ihr Eigentum an Abrissgesellschaften. Diese unterlassen über Jahre jegliche Instandsetzungen an den Gebäuden und geben diese dem Verfall frei.
In den 1970`er Jahren werden Kreuzbergs Fabrikgeschossbauten und die alten Mietshäuser wiederentdeckt. In den Stadtbezirk ziehen viele junge Menschen ein, die in den leerstehenden und preiswert zu mietenden Gebäuden eine alternative Lebensführung entwickeln wollen. Die großräumigen Fabriketagen bieten Ihnen einen geeigneten Ort, um ihre Vorstellungen vom alternativen Lebensraum abseits des neuen Siedlungsbaus auch mit geringen finanziellen Mitteln verwirklichen zu können. Zu den neuen Bewohnern gehören viele Künstler, Handwerker und andere Freischaffende, die in ihrem unmittelbaren Lebensbereich das Wohnen und Arbeiten verbinden konnten. Das Wohnen in den Fabriketagen bleibt allerdings ein Grund zur Kündigung des Mietverhältnisses.
Die alternative Szene etabliert sich in dem Stadtbezirk innerhalb weniger Jahre und entwickelt eine politische Kraft. Als der bevorstehende flächenmäßige Abriss als nicht abwendbar erscheint, mobilisiert die alternative Szene ihr nahestehenden Bevölkerungsgruppen zur illegalen Besetzung von einer Vielzahl noch leerstehender Gebäuden (ca. 500). Dies verhindert den Abriss und löst eine langwierige politische Auseinandersetzung mit dem Berliner Senat aus.
Bei den Vorbereitungen zur Internationalen Bauausstellung – IBA `84 kann erfolgreich zwischen den Parteien vermittelt werden. Die Erhaltung der Kreuzberger Altbausubstanz sowie die Anknüpfung an die traditionelle Verbindung von Wohnen und Arbeiten in der „Kreuzberger Mischung“ werden zu wesentlichen Punkten des Programms der IBA `84.
Etwa zwei Drittel der illegalen Besetzungen werden geräumt, aber ein Drittel kann in legale Verhältnisse durch Kauf- und Mietverträge überführt werden. Die in diesem Zeitraum entstandene Alternativkultur organisiert sich heute über ein Netzwerk von kulturellen Einrichtungen, Wohn- und Arbeitsgemeinschaften und Vereinen, die unterschiedliche stadtteilbezogene Projekte initiieren.
Kreuzberg ist in vielerlei Hinsicht ein innovatives Kulturzentrum geworden und stellt für die Selbstdarstellung Berlins als Hauptstadt der Bundes Republik Deutschland einen wichtigen imagebildenden Anziehungspunkt dar.
Die Notwendigkeit des Erhalts einer Funktionsmischung aus Wohnen und Arbeiten wird inzwischen auf breiter Basis sowohl von der Wirtschaft als auch der Berliner Senatsverwaltung geteilt. Die in Kreuzberg vorhandenen Gewerbegeschossbauten werden daher bereits in den 1980`er Jahren zum Großteil als Gewerbestandorte über Festsetzungen in den Bebauungsplänen planungsrechtlich für das produzierende Gewerbe gesichert. Eine Umnutzung dieser Gewerbegeschossbauten für Wohnzwecke ist hier nicht mehr möglich.
Räume von Fabrikgeschossbauten verfügen über Eigenschaften, die den Umbau für Wohnzwecke besonders attraktiv machen. Das sind in erster Linie die enormen Raumgrößen, das industrielle Flair sowie ein zumeist niedrigerer Kostenfaktor beim Umbau von Gewerberäumen zu Wohnräumen im Vergleich zur Errichtung eines neuen Wohngebäudes.
Die Aneignung einer offenen Fabrikgeschosseinheit als Wohnraum vollzieht sich völlig gegensätzlich zum Beziehen einer Geschosswohnung mit typisiertem Grundriss. Die Geschosswohnung verfügt über eine festgelegte Einteilung der Räume, deren Größe und Ausstattung die Nutzung festlegen. Lofts verfügen über einen offenen Raum, der mehr oder weniger durch Einbauten verstellt, verengt oder begrenzt werden kann, aber dennoch stets als offener, fließender Raum erfahrbar bleibt. Der Loft-Bewohner verinnerlicht das Bedürfnis nach individueller Gestaltung seines Lebensraumes. Ihm bleiben weitaus mehr Möglichkeiten die unterschiedlichen Wohnfunktionen selbst zu bestimmen bzw. zu verändern.
Gewerberäume können bereits mit verhältnismäßig geringen Mitteln zu Wohnräumen umgebaut werden. Es kann aber auch ein hoher Aufwand betrieben werden, um ein Loft herzurichten. Das trifft oftmals bei weitreichenden Restaurierung zu. Die vorgefundenen typisch industriellen Bauelemente können für die Raumausstattung mit industriellem Flair erhalten bleiben und hervorgehoben werden. Es ist ein weitreichender Ausbau möglich, der die vorhandenen Raumstrukturen erweitert und variiert, Kontraste zwischen alt und neu, kostbar und preiswert, improvisiert und dauerhaft herstellt.
Der Umbau von Gewerberäumen zu Wohnräumen ermöglicht es Wohnideen der modernen Architektur umzusetzen. Der Erwerb und Umbau einer großen Gewerbeeinheit ist im Vergleich zur Errichtung eines Eigenheims mit großzügigem freiem Grundriss viel preiswerter. Zu dem ermöglicht das Wohnen im Loft eine Lebensweise, die eng an die Stadt gebunden ist und sich grundsätzlich vom Leben auf dem Lande unterscheidet. Veränderte Lebensumstände (Familienzuwachs, Arbeiten zu Hause, Auszug der Kinder aus der Elternwohnung) können weitere Umbaumaßnahmen erfordern, die durch die hohe Flexibilität eines Loft-Raumes infacher umzusetzen ist.
Letztendlich spiegelt der Umgang mit der Altbausubstanz stets die Grundhaltung der Menschen gegenüber Ihrem historischen Erbe wieder. Es wird ein Bewusstsein für den Erhalt historischer Architektur vermittelt und gleichzeitig die Art und Weise aufgezeigt wie das historische Erbe in die moderne Gegenwart überführt werden kann.
Beispiel 1:
Das Quergebäude diente früher als eine Telefonfabrik. Bei den Umbaumaßnahmen wurde es bis auf die tragenden Elemente vollständig entkernt. Das Loft verfügt über zwei Ebenen. Auf der unteren Ebene befindet sich eine offene Küche mit dem Essbereich. Auf der oberen Ebene werden mit dem Schlafzimmer und dem Bad separate Räume gebildet. Der Wohnbereich sowie der Arbeitsbereich innerhalb des einheitlichen großen Raumes definieren sogenannte „verschiebbare Inseln“. Die die beiden Ebenen erschließende Treppe ist das zentrale raumbildende Element.
Beispiel 2:
Architekten: Manfred Schasler, Martina Guddat und Annette Bellman
Das Loft einer ehemaligen Handschuhfabrik diente vor dem Umbau lange Zeit einer Künstlerin als Atelier. Es ist zu Teilen im Bestand eines Quergebäudes und eines Seitenflügels integriert und verfügt somit im Grundriss über eine L-Form.
Der offene Raum wird um die Ecke geführt. Diese Raumeigenschaft wird durch einen Raumteiler in Form einer Welle unterstützt. Diese ist von der tragenden Raumstruktur losgelöst und farblich durch ein tiefes Blau akzentuiert. Eine weitere Besonderheit bildet die weit in den Wohnraum hineinreichende Terrasse. Die großflächigen Fenster bilden in diesem Bereich einen fließenden Übergang zwischen Innen und Außen.
Quellenverzeichnis: